Warum liegt der Schwerpunkt des Mitternachtsruf auf den prophetischen Aussagen der Bibel?
Weil das prophetische Wort eine dringende Botschaft ist; weil es ein Schwerpunkt apostolischer Aussagen ist; weil die Bibel uns dazu auffordert; weil die Prophetie zum Gesamtratschluss der biblischen Heilsbotschaft gehört; weil die Wiederkunft des Herrn Jesus absolute Wahrheit ist, die nicht unterschlagen werden darf; weil die Prophetie mehr denn je nötig ist; weil sie in den Gemeinden zu einem vernachlässigten Thema geworden ist; und nicht zuletzt, weil das prophetische Wort eine Botschaft der Hoffnung ist.
Kurz vor diesem Interview las ich von dem jüdischen Religionswissenschaftler David Flusser: «Es ist heute nötig, sich mit den biblischen Aussagen über die Endzeit zu befassen. Die Juden tun es, die Christen sollten es umso mehr tun …» Und der amerikanische Theologe und Autor John MacArthur schreibt zum Thema: «Die Tatsache der Wiederkunft Christi stellt eine der Hauptlehren des Christentums dar. Es ist das Ende und das Ziel Gottes mit der Erde, und dieser göttliche Höhepunkt wird genauso präzise und sinnvoll sein wie jede andere Offenbarung Gottes. Wer die Hoffnung auf die leibliche Wiederkunft Christi aufgibt, hat in Wirklichkeit das wahre Christentum aufgegeben.»
Dem Gründer unseres Missionswerkes lag diese Wahrheit bereits in jungen Jahren sehr auf dem Herzen, und die Verkündigung der biblischen Prophetie wurde zu einem Schwerpunkt seines Dienstes, was der Herr über die Jahrzehnte segnete.
Meine Frau und ich durften uns auch durch eine evangelistische Botschaft über die Wiederkunft Jesu Christi und die Prophetie der Heiligen Schrift bekehren. Ich kam aus einem katholischen Elternhaus, meine Frau aus einem lutherischen. Wir fragten uns, warum wir diese Botschaft vorher noch nie gehört hatten. Und wir dachten uns, wenn es stimmt, dass Jesus Christus wiederkommt, dann müssen doch unbedingt alle Menschen davon hören. Deshalb sind wir sehr dankbar, dass der Herr uns später in das Missionswerk Mitternachtsruf führte. Die Last für das prophetische Wort der Bibel war uns sozusagen in die Wiege unseres Glaubenslebens gelegt worden.
Hat der Mitternachtsruf nicht immer wieder prophetische Auslegungen korrigieren müssen? Was bringt es da, sich weiterhin mit der Prophetie zu beschäftigen?
Ja, es ist richtig, wir haben uns hie und da korrigieren müssen. Aber so etwas ist immer wieder im ganzen Christentum nötig. Manchmal ist man zu voreilig, zieht die falschen Schlüsse, und es besteht die Gefahr der Spekulation. Doch wer meint, immer alles richtig zu machen, der liegt mit dieser Auffassung zweifellos auch daneben. In unserem Buch «Leben in der Naherwartung» gehen wir näher auf dieses Thema ein. Ein Theologe sagte es einmal sinngemäss so: «Nur weil einige ‹jetzt› sagten, sollen wir ‹nie› sagen?»
Es gibt viele verschiedene Auslegungen über das prophetische Wort. Welche Punkte stehen nicht zur Debatte und wo kann man unterschiedlicher Meinung sein?
In fundamentalen, heilsentscheidenden Aussagen der Heiligen Schrift dürfen wir keinen Kompromiss eingehen. Die Bibel ist von Anfang bis Ende Gottes inspiriertes Wort. Jesus Christus ist wahrer Gott und wahrer Mensch, als Menschensohn von einer Jungfrau geboren. Die Erlösung geschieht allein aus Gnade durch das Ganzopfer und vollbrachte Werk Jesu in Seinem Tod und Seiner Auferstehung. Es gibt keine andere Erlösung, keinen anderen Weg der Errettung als nur durch Ihn; und Er wird persönlich wiederkommen. Sicher gäbe es hierzu noch mehr zu sagen.
Doch in nicht-heilsentscheidenden Dingen werden Gläubige immer unterschiedlicher Meinung sein. Das betrifft zum Beispiel Fragen wie: Wann findet in der Chronologie der Endzeit die Entrückung statt? Muss die Gemeinde Jesu Christi durch die Trübsal? Wie erklären wir den Unterschied zwischen Israel und der Gemeinde? Ist die Herangehensweise des Dispensationalismus immer richtig? Welche Auslegungsart der Offenbarung ist die beste? Und vieles andere mehr.
Man kann das Ganze vergleichen mit Bergsteigern, die von verschiedenen Seiten denselben Gipfel erklimmen. Sie haben von ihren unterschiedlichen Perspektiven aus nicht die völlig selbe Schau, aber es geht für sie um denselben Berg, dasselbe Fundament, denselben Gipfel. Erst, wenn sie oben angelangt sind, haben sie alle dieselbe Sicht. Deshalb sollte man unterwegs den anderen nicht abstürzen oder hängen lassen, ihm etwa den Absturz wünschen oder gar an seinem Seil schneiden. – Wer allein von seiner Meinung überzeugt ist, der liegt von vorneherein verkehrt. Der Baptistenprediger C. H. Spurgeon sagte diesbezüglich: «Geh nicht mit zwei geballten Fäusten durch die Welt, bereit zum Kampf, einen theologischen Revolver am Hosenbein tragend.»
Wie soll jemand vorgehen, wenn er die Prophetie der Bibel ernsthaft und nüchtern studieren will? Was empfiehlst du?
Vor allen Dingen sollte er so nah wie möglich an Gottes Wort bleiben, die Parallelen und den Kontext der Schrift beachten und untersuchen, was andere Stellen zum selben Thema sagen. Man sollte jede Spekulation vermeiden, nicht die Tagesnachrichten in die Bibel hineinlesen und diese als Massstab der Auslegung benutzen. Auch gilt es, zu erforschen, was sich bereits an biblischer Prophetie erfüllt hat und was noch der Erfüllung harrt.
Gibt es einen Bereich der Prophetie, wo du selbst einen Wandel in Ihrer Meinung durchgemacht hast?
Ja, den gibt es eindeutig. Zum Beispiel habe ich früher alle prophetischen Aussagen aus den Evangelien automatisch auf die Gemeinde gelegt. So brachte ich das Gleichnis der zehn Jungfrauen mit der Entrückung in Verbindung oder ich sah die Gemeinde in den Endzeitreden Jesu auf dem Ölberg. Doch mit den Jüngern Jesu sind nicht immer und automatisch die Gläubigen der Gemeinde nach Pfingsten gemeint. Mit der Zeit und im Laufe eines Prozesses lernte ich, hier deutlicher zu unterscheiden. Ich habe gemerkt, wie stark christliche Traditionen sind, nicht selten stärker als die Bibel, und ich habe versucht, mich davon zu lösen und nur der Bibel Recht zu geben. Doch ich muss zugeben, dass ich hier noch viel lernen muss. Wir alle sind geprägt von unserer Gemeindezugehörigkeit, dem Elternhaus oder was wir in der theologischen Ausbildung lernten. Dafür dürfen wir sehr dankbar sein und es ist ohne Zweifel von Nutzen, aber es gibt auch Dinge, die unsere Glaubensväter anders sahen.
Welchen praktischen Nutzen hat das Studium der Prophetie für unseren Lebensalltag?
Das Studium des prophetischen Wortes spornt uns an, das Wort Gottes ernst zu nehmen, auch in allen anderen Bereichen. Die Erfüllung lässt uns staunen über Gottes Präzision, Treue und Zuverlässigkeit. Und der Ausblick auf das noch nicht Eingetretene lässt uns zuversichtlich sein und erhält uns in einer lebendigen Hoffnung. Das Studium der biblischen Prophetie erfüllt uns mit Sehnsucht und Liebe zur oberen Heimat und lässt uns trachten nach dem, was droben ist, nämlich Christus, zur Rechten Gottes des Vaters. Um es mit dem Theologen Ron J. Bigalke zu sagen: «Die biblische Prophetie bezeugt die Verantwortung des Gläubigen im gegenwärtigen Zeitalter. Unsere Sicht von der Zukunft bestimmt, wie wir in der Gegenwart leben.»
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte René Malgo.