Ebenso wie um das Thema «Jungfrauschaft» wird in der Theologie um die Frage gestritten, wie man «Sohn Gottes» zu verstehen habe. Auf die Weihnachtsgeschichte fällt durch das Qumranfragment 4Q246 (4. Höhle von Qumran, Fragment Nr. 246) ein neues Licht. In der ersten Zeile der vollständigen Spalte heisst es: «Gottes Sohn wird er genannt und Sohn des Höchsten wird man ihn heissen …» Der Titel «Sohn Gottes» wird in diesem aramäischen Qumrantext in ganz ähnlicher Weise gebraucht, wie er im Wortlaut des Engels beim Evangelisten Lukas erscheint. Auch die Wendung «Sohn des Höchsten wird man ihn heissen» stellt eine erstaunliche Parallele zur Ausdrucksweise in der Verkündigungsgeschichte dar. In Lukas 1,30–35 verheisst der Engel Gabriel die Geburt Jesu an Maria mit folgenden Worten: «Fürchte dich nicht, du hast Gnade bei Gott gefunden. Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, des Namen sollst du Jesus heissen. Der wird gross sein und Sohn des Höchsten genannt werden … Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten, darum wird auch das Heilige, das von dir geboren wird, Gottes Sohn genannt werden.» Die kritische Sichtweise, dass ein Titel wie «Sohn Gottes» erst relativ spät aus dem Heidentum übernommen worden sei und es sich um eine für das Judentum untypische Wendung handle, wird durch die Schriftrollenfunde vom Toten Meer widerlegt. Die Sprache des Engels ist weder «unjüdisch» noch weist sie auf das griechische Heidentum mit seinen Märchen und Mythen hin.
Ganz im Gegenteil! Obwohl uns das Lukasevangelium auf Griechisch überliefert ist, erweist sich der Hintergrund an dieser Stelle als ein jüdischer. Lukas erforschte nach seinen Aussagen alles ganz genau von den Anfängen an und schrieb das Evangelium auf, damit der Empfänger der Schrift erkennen sollte, wie wahr und zuverlässig das ist, worin man ihn unterwiesen hatte (Lk 1,1–5). Dies galt aber nicht nur dem ersten Leser Theophilus, sondern gilt uns heute ganz genauso. Wir haben keine Gründe, den neutestamentlichen Berichten zu misstrauen.
Wer eine Ägypten- oder Griechenlandreise macht, bekommt bei der Erklärung der antiken Götterwelten regelmässig zu hören, dass damals alle grossen Männer von einer «Jungfrau» geboren worden seien und dass so die Vorstellung der Jungfrauengeburt auch ins Neue Testament gelangt wäre. Genauso wird ja auch im bereits erwähnten Anhang der Sachworterklärung der neuen Lutherbibel argumentiert.
Doch das stimmt nicht! Bei den griechischen, orientalischen und fernöstlichen Göttermythen steht hinter der Geburt eines Gottes immer die «natürliche» Zeugung durch eine Gottheit, so z.B. bei Zeus, der in Gestalt eines Schwanes zu Leda eingeht. Oder man denke nur an die mehr als frivole Sage, wie Alexander der Grosse gezeugt wurde. Zeus verwandelte sich in eine Schlange gleissenden Lichts und machte sich am Unterleib der Mutter zu schaffen. Die Gottheit hatte also sexuellen Verkehr mit einer Frau und beim ersten «Götterkind» spricht man dann von «Jungfrauengeburt». Die Jungfrauengeburt im Neuen Testament ist etwas völlig anderes. Hier findet eben gerade kein intimer Kontakt zwischen Gott und Maria statt. Warum wird dieser elementare Unterschied übersehen?
Eins muss klar sein: Wer entgegen dem biblischen Zeugnis behauptet, Jesus sei von einer «jungen Frau» geboren worden, der sagt damit auch, dass Jesus einen biologischen Vater hatte. Was würde dies bedeuten? Dann wäre Jesus ein ganz normaler Mensch gewesen! Und man hätte einen Menschen, wenn auch einen besonderen Menschen, zu Gott erhoben. Das heisst, die Menschen hätten einen anderen Menschen vergottet! Genau das haben die Römer mit ihren Kaisern gemacht. Diese wurden per Senatsbeschluss zu Göttern erhoben, und wir machen das heute nicht selten auch mit Stars und Idolen. Wir erschaffen uns gewissermassen unsere Götter selbst.
Bei Jesus war es genau anders! Nach dem Nizänum (= wichtigstes christliches Glaubensbekenntnis, praktisch von allen Kirchen als verbindliches Credo akzeptiert) bekennt die Christenheit «genitum non factum» («geboren/gezeugt [im Griechischen und Lateinischen dasselbe Wort], nicht geschaffen»). Christus wurde nicht erschaffen. Er ist und war Gott. «Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott» (Joh 1,1–2). «Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit» (Joh 1,14). Deshalb ist Jesus Gottes Sohn und der Heiland der Welt. Weil Jesus von Gott her kommt und Gott selbst ist, gilt uns die Weihnachtsbotschaft ganz persönlich: «Euch ist heute der Heiland [der Erretter, der Erlöser] geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids» (Lk 2,11).
Der Heiland ist der Einzige, der uns von Schuld und Sünde befreien kann. Dies kann kein Mensch – dies kann nur der Sohn des lebendigen und heiligen Gottes. Wäre Jesus nur ein Mensch, den Gott bei der Taufe adoptiert hätte – wie es meist in der historisch-kritischen Theologie behauptet wird –, dann wäre Jesus ein Mensch geblieben und ein Mensch kann keinem andern Menschen die Sünden vergeben! Das kann nur Gott selbst! Das kann nur Jesus, und zwar nur dann, wenn Er Gottes Sohn ist. Gott entschied von Anfang an, dass Er, bevor Er die Welt verbessere, das menschliche Herz erneuern müsse. Deshalb singen wir doch aus voller Kehle im wunderschönen Weihnachtslied:
«O du fröhliche, o du selige,
gnadenbringende Weihnachtszeit!
Welt ging verloren, Christ ward geboren:
Freue, freue dich, o Christenheit!»
Und in Strophe 2:
«Christ ist erschienen, uns zu versühnen: Freue, freue dich, o Christenheit!»
Diese grosse Weihnachtsfreude wollen wir gerne weitergeben und uns zurufen! Wir wollen treu am Wort unseres Herrn festhalten und uns nicht durch bibelkritische Theologien und Philosophien beeinflussen lassen!
Die Bibel warnt uns zudem eindringlich, am Evangelium (an der guten Botschaft) festzuhalten. Selbst wenn uns ein Engel eine neue Botschaft bringen würde – man stelle sich vor: ein Engel! Wow, da wäre man doch begeistert! –, aber selbst dann sollten wir nicht darauf hören, denn: «So jemand euch ein anderes Evangelium predigt, denn das ihr empfangen habt, der sei verflucht» (Gal 1,9). Eine harte und deutliche Warnung!
Und was würde Luther zur «Jungfrauen-Diskussion» sagen? Für den Reformator stand fest, dass Jesaja 7,14 eine der gewaltigsten Prophezeiungen auf Jesus Christus darstellt. Als 1534 seine komplette Bibelübersetzung zum ersten Mal erschien, schrieb Luther in seiner Vorrede über den Propheten Jesaja, dass dieser wie sonst kein anderer Prophet Jesus vorhersagen würde und, «dass er auch die Mutter Christi, die Jungfrau Maria beschreibt, wie sie ihn [Jesus] empfangen und gebären soll». Als seine Übersetzung dann von anderen Verlegern nachgedruckt wurde und seine begleitenden Kommentare verändert wurden, warnte er in den Wittenberger Ausgaben die Bibelleser eindringlich vor diesen «verfälschten Lutherbibeln».
Er bat dabei inständig alle seine «Freunde und Feinde», seine «Meister, Drucker und Leser», seine Bibel nicht zu verändern, und schreibt: «Haben sie aber Mangel daran», dann sollen sie eine eigene Übersetzung anfertigen und für sich machen, denn «ich weiss wohl, was ich mache … Dies Testament solle des Luthers Deutsch Testament sein. Denn des Meisterns [Besserwissens] und Klügelns ist weder Masse noch Ende. Und sei jedermann gewarnt vor anderen Exemplaren [Ausgaben, die seinen Namen tragen], denn ich habe bisher wohl erfahren wie falsch uns andere nachdrucken.»
Wie würde Luther wohl urteilen, wenn er die neue Bibel sehen würde, die noch immer seinen Namen trägt? Wie damals würde er vor diesen hinzugefügten Sachworterklärungen warnen, die den Bibeltext verdrehen. Für Luther stand unumstösslich fest, dass Jesus von der Jungfrau Maria geboren wurde, dass Er leiblich auferstanden ist und dass Er eines Tages wiederkommen wird. An diesen reformatorischen Erkenntnissen müssen auch wir heute unbeirrt festhalten, denn nur mit Jesus Christus als dem wahren Gottessohn kann es wahre Rettung geben. Wer das leugnet, für den ist Jesus dann auch nicht mehr der alleinige Weg zu Gott, und da wundert es dann auch nicht, dass der EKD-Ratsvorsitzende Bedford-Strohm und Kardinal Marx Lehmann beim Besuch des Tempelberges in Jerusalem ihr Kreuz ablegen, um die Moslems nicht zu verärgern.
Jesus ist nicht nur ein Vorbild im Glauben, nein, Er ist der Inhalt des biblischen Glaubens! In Apostelgeschichte 16,31 heisst es: «Glaube an den Herrn Jesus, und du wirst gerettet werden, du und dein Haus».
Wer die neue Lutherbibel 2017 nutzt, der sollte sich klar machen, der Anhang mit den Sachworterklärungen atmet den Geist der liberalen, historisch-kritischen Theologie, der die Gottessohnschaft Jesu leugnet. Da bevorzuge ich doch lieber Bibelausgaben, die sich einer biblisch-historischen Theologie verpflichtet fühlen und für den Glauben hilfreiche Erklärungen bieten, wie die Elberfelder-Bibel mit Erklärungen.
2017 haben wir kein grosses Reformationsfest und auch keinen bundesweiten Feiertag gebraucht, sondern einen neuen Reformator, der den liberalen Theologen entgegenhält: «Das Wort sie sollen lassen stahn»!