Sie liebten mich genug, um mir die Wahrheit zu sagen (Teil 2)

Ein Gespräch mit dem messianisch-jüdischen Missionar Avi Snyder über die Gründe, warum Christen keine jüdischen Menschen evangelisieren, Ablehnung, unsere Verantwortung und «Entrückungsübungen».

Abgesehen vom falschen Verständnis über die Erwählung des jüdischen Volkes, welche Gründe haben aufrichtige Gläubige noch, wenn sie jüdische Menschen nicht evangelisieren?

Ob sie es nun zugeben oder nicht, sehr häufig ist der wahre Grund – selbst wenn sie wissen, was zu tun ist – die Angst vor Ablehnung. Diese Angst ist Menschenfurcht. Die Angst vor Ablehnung hält die meisten Ungläubigen davon ab, das Evangelium mit einem offenen Herzen zu erwägen, weil sie sich darum Sorgen machen, was die anderen Menschen denken werden. Sie fürchten die Konsequenzen. Und die Angst vor Ablehnung, die Menschenfurcht, ist das, was die meisten Gläubigen davon abhält, dem Herrn zu gehorchen, obwohl sie wissen, was Er ihnen zu tun heisst. Wir fürchten die Konsequenzen. Und je nachdem, wo wir sind, können diese Konsequenzen sehr schwerwiegend oder sehr leicht sein. Aber es gibt immer Konsequenzen. Darum müssen wir den Tadel des Menschen nicht fürchten. Im Buch Jesaja steht ein wunderbarer Vers geschrieben, wo Gott durch den Propheten sagt: «Hört mir zu, die ihr die Gerechtigkeit kennt, du Volk, in dessen Herzen mein Gesetz ist! Fürchtet euch nicht, wenn euch die Leute schmähen, und entsetzt euch nicht, wenn sie euch verhöhnen!» (Jes 51,7). Er befiehlt uns, keine Angst vor der Reaktion der Menschen zu haben, ihre Ablehnung nicht zu fürchten.

Noch eine Sache: Jesus wurde abgelehnt. In Jesaja 53 wird der Herr als ein Mann der Schmerzen beschrieben, der Traurigkeit kannte und verachtet wurde. Und wir haben das Vorrecht, mit Ihm identifiziert zu werden. Wir sollten uns nicht davor fürchten, an dieser Ablehnung vonseiten der Menschen teilzuhaben, so wie Er sie erduldet hat.

Was ist die typische Reaktion von Angehörigen des jüdischen Volkes, wenn Sie ihnen das Evangelium erzählen?

Die Reaktionen durchlaufen das ganze Spektrum. Unser Volk reagiert auf uns in derselben Weise wie es auf die Propheten, Apostel und Jeschua – Jesus – selbst reagiert hat. Es gibt solche, die gerne hören wollen, was wir zu sagen haben, und die – selbst wenn sie ursprünglich nichts hören wollten – mit Interesse und schliesslich mit rettendem Glauben reagieren. Und dann gibt es andere, die nichts von uns hören wollen, und wenn sie es hören, mit Furcht oder Besorgnis auf uns reagieren. Im Buch Hesekiel sagte Gott dem Propheten singemäss: «Geh zu diesem Volk, und ob sie hören oder nicht, sprich: So sagt der Herr …» (Kap. 2). Unsere Verantwortung als Gläubige an Jeschua, ob wir jüdisch sind oder nicht, ist, die Wahrheit in Liebe und auf eine Weise weiterzugeben, die die Menschen verstehen können. Es ist unsere Hoffnung, dass unser Volk positiv reagiert. Aber wie sie die Botschaft aufnehmen, ist nicht unsere Verantwortung, sondern liegt zwischen ihnen und dem Herrn. Und ich kann dies sagen: Es gibt viele von uns Juden, die negativ reagieren, wenn wir das erste Mal das Evangelium hören, aber letztendlich kommen wir doch zum Glauben.

Wir lieben ja die ganze Bibel, aber hypothetisch gesprochen, wenn es ein Buch in der Heiligen Schrift gäbe, das Sie aussuchen müssten, welches würde das sein?

Das ist schwer. Es dürfte wohl das Buch Jesaja sein, weil es jede Art von biblischer Literatur in sich vereint. Es hat Prophetie, Poesie, Gesetzgebung, Apokalyptik … es hat alles. Es zeichnet ein klares Bild vom Messias, von Seinen beiden Erscheinungen, Seinem ersten Dienst als dem leidenden Knecht und Seiner Wiederkunft als dem herrschenden König. Manchmal denke ich, dass es kein Zufall war, dass von allen biblischen Manuskripten, die am Toten Meer entdeckt wurden, die einzige vollständig gefundene Schriftrolle das Buch Jesaja war. Aber wie du sagst, ich liebe jeden Teil der Bibel und ich bin dankbar für jedes Bibelbuch, das ich haben darf.

Was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie das Versprechen des Herrn hören: «Ja, ich komme bald»?

Das Erste, was mir in den Sinn kommt, ist: Wenn Er kommt und ich hier bin, wird Er zufrieden mit der Art und Weise sein, wie ich mein Leben führe? In den Evangelien sagt Er oft: «Seid wachsam!» In Seinen Gleichnissen spricht Er häufig davon, dass wir uns auf die Aufgaben konzentrieren müssen, die Er uns anvertraut hat. Wir sollen treue Haushälter, treue Diener sein. Wir sollen Seine Werke tun, so wie Er die Werke des Vaters tat. Als ich gerade zum Glauben gekommen war, sagte ein Freund von mir, dass er als Anfänger im Glauben dachte, er müsste herumsitzen und auf die Entrückung warten. Ich fragte: «Und was hast du gemacht?» Er antwortete: «Ich habe Entrückungsübungen gemacht.» Und er fügte hinzu: «Dann wurde mir klar, dass ich anstelle von Entrückungsübungen besser Traktate verteilen und den Menschen vom Herrn erzählen sollte.»

Was raten Sie unseren Lesern, die Israel und das jüdische Volk lieben und sich an seine Evangelisation beteiligen wollen, aber nicht wissen, wie sie vorgehen sollen?

Erstens, macht das Gebet für die Erlösung des jüdischen Volkes zu einem festen Bestandteil eurer Gebetszeiten. Zweitens, betet, dass Gott euch Gelegenheiten offenbart, in denen ihr jüdischen Menschen das Evangelium weitergeben könnt. Und betet für uns, für «Juden für Jesus» und für andere Missionswerke, die das Evangelium unter dem jüdischen Volk verbreiten.

Ihr nicht-jüdischen Christen solltet erkennen, dass ihr einen grossen Vorteil habt, wenn ihr jüdischen Menschen das Evangelium erzählt. Wenn wir dem jüdischen Volk das Evangelium bringen, besteht eine Partnerschaft zwischen messianischen Juden, wie ich einer bin, und nicht-jüdischen Christen. Denkt an den Weg eines jüdischen Menschen zum Glauben, von A bis Z. Wie oft wird der Herr einen Menschen wie mich gebrauchen? Er wird mich am Anfang einsetzen, vielleicht von A bis I, um das Interesse eines jüdischen Menschen zu wecken und ihm bewusst zu machen, dass es Juden gibt, die an Jesus glauben. Er wird sich mit mir treffen und vielleicht einige Male mit mir reden. Im Grunde genommen will er zwei Dinge wissen: Was glaube ich und warum glaube ich? Manchmal will er auch wissen, warum ich so dumm bin, das zu glauben. Aber die Frage, ob es wahr ist, interessiert ihn noch nicht. Dann wird ihm bewusst, dass es gefährlich ist, wenn er sich weiter mit mir trifft. Meine blosse Gegenwart ist eine Herausforderung für ihn. Schliesslich muss er sich mit der Frage auseinandersetzen: Ist es wahr? Und wenn es wahr ist, wie soll er dann als Jude damit umgehen? An diesem Punkt will er nicht mehr mit mir reden. Aber er ist immer noch interessiert. Mit wem wird er dann reden? Mit jemanden wie euch. Er wird mit einem nicht-jüdischen Christen sprechen, weil diese keine Bedrohung sind. Er muss sich nicht mit den Konsequenzen auseinandersetzen. Er kann sich selbst sagen, dass dies ein nettes, kulturübergreifendes, intellektuell stimulierendes Gespräch ist. Und ihr könnt weiter mit ihm reden. Durch eure Worte wird er das Evangelium verstehen und in eurem Leben wird er erkennen, dass das, was ihr glaubt, wahr ist. Jetzt kommt einer wie ich zurück in sein Leben, denn nun möchte er von dem Wissen beruhigt werden, dass er nicht alleine ist, wenn er die Entscheidung trifft; dass es andere Juden gibt, die an Jesus glauben und ihm zur Seite stehen. So seht ihr, dass nicht-jüdische Christen einen grossen Vorteil haben. Jüdische Menschen sind nicht überrascht, wenn Christen versuchen, mit ihnen über ihren Glauben zu reden. Sie nehmen an, dass alle Nichtjuden Christen sind und von Jesus erzählen. Es ist sehr traurig, wenn Christen sich selbst Schweigen auferlegen, denn es ist für uns Juden nie eine Überraschung, wenn Christen anfangen, über Jesus zu reden. Davon gehen wir aus!

Das, was ich den Gläubigen, die dieses Interview lesen, anbieten kann: Wenn ihr echten praktischen Rat wollt, wie ihr eure jüdischen Freunde erreichen könnt, nehmt mit uns Kontakt auf. Wir helfen gerne. Wir bieten gerne Hilfsmaterial an. Wir sind auch sehr dankbar, wenn ihr für unsere Evangelisation unter jüdischen Menschen betet. Es ist leicht, uns online zu finden. Ihr könnt zur deutschen Webseite gehen: www.judenfuerjesus.de, oder zur englischsprachigen Webseite oder zur französischen. Wir wollen unseren Brüdern und Schwestern im Herrn zur Verfügung stehen und ihnen helfen, den Part zu übernehmen, den Gott für ihnen vorgesehen hat in der Verbreitung des Evangeliums unter dem jüdischen Volk.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte René Malgo.

Avi Snyder kam 1977 dank eines «Juden für Jesus»-Traktats zum rettenden Glauben an Jesus Christus. Seit 1978 ist er bei «Juden für Jesus» tätig und leitete Zweigstellen in den USA, Grossbritannien, der ehemaligen Sowjetunion, Deutschland und Ungarn.
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