Noch besteht die Möglichkeit, dass wir Gottes Wort gründlich kennen- und auch auswendig lernen. Im digitalen Zeitalter scheint dies nicht mehr notwendig zu sein. Aber was ist, wenn wir keine Bibel mehr haben? In Johannes 16,13 lesen wir, dass der Geist Gottes uns in die ganze Wahrheit leiten möchte. In Vers 14 sagt der Herr Jesus, dass der Geist es von dem Seinen nehmen wird. Und in Johannes 14,27 lesen wir, dass Er die Jünger an alles erinnern wird, was der Herr ihnen gesagt hat. Es steht nicht da, dass der Heilige Geist plötzlich neue Offenbarungen schenkt. Er erinnert an das, was Jesus gesagt hat. Das setzt voraus, dass wir Gottes Wort kennen. Übrigens ist das auch eine Verheissung für alle, die sich mit dem Auswendiglernen schwer tun und es trotzdem praktizieren. Solange es Tag ist, sollten wir die Zeit nützen, um Bibelverse zu lernen und sie uns fest einzuprägen. Was für eine Hilfe, wenn wir Verse oder sogar ganz Kapitel auswendig können. Jeder Psalm ist ein Kapitel. Die Kraft des Wortes Gottes entfaltet sich dann auch, wenn es uns nicht mehr möglich ist, es zu lesen. Schon in der Kinderstunde und mit Kindern können wir dies einüben.
Das gilt im Übrigen auch für gute Glaubenslieder. Sich selbst Liedverse aufsagen oder sie zu beten, kann ebenfalls eine grosse Hilfe sein. Nicht erst in der Verfolgung. Auch schon in dunklen Nachtstunden, Krankenhauszimmern oder im Strassengraben nach einem Verkehrsunfall. Während meines Praktikums hielt ich mehrmals Andachten in einem Altersheim. Die Art und Weise richtete sich nach dem Grad der Verfassung der Zuhörer. Eine Andacht fand bei völlig dementen Personen statt. So wie man den Kleinsten in der Kinderstunde biblische Geschichten erzählt, tat ich das auch dort, in der Hoffnung, dass irgendetwas hängen blieb. Wann immer wir aber alte, bekannte Glaubenslieder anstimmten, sangen die dementen Personen plötzlich mit. Da kam etwas zum Vorschein, was sie in ihrer Kindheit gelernt hatten. Besonders blieb mir dabei das Lied und der Refrain in Erinnerung: «Gott ist die Liebe, lässt mich erlösen.»
Zu einem verwurzelten Leben in der Bibel kann auch eine entsprechende Schulung beitragen, damit wir die lehrmässigen und heilsgeschichtlichen Zusammenhänge erfassen. Werner Stoy zeigt in diesem Zusammenhang anhand der Geschichte auf, wie zusätzlich zur Verfolgung oft eben auch die Verführung von innen kam. Deshalb ist es so wichtig, die Zusammenhänge und grundsätzlichen Linien der Schrift zu kennen. Auch das wird heute oft vernachlässigt, weil wir die Zeit lieber für uns selbst und andere Dinge gebrauchen.
In der Bibel finden wir beides: Einerseits möchte der Herr unsere Leiden lindern und wir dürfen auch darum beten. Andererseits verfolgt Er aber auch durch Leiden Seine Absichten und Ziele. Wir tendieren dazu, als höchstes Ziel nach einer schmerz- und leidensfreien Nachfolge zu streben. Dies kommt durch unseren ungeheuren Wohlstand und der mit ihm verbundenen Wohlfühlmentalität. Das beginnt mit unserem persönliche Leben reicht bis in die Gemeinde hinein. Sobald es schwierige Phasen im Gemeindeleben gibt, sieht man von manchen nur noch den berühmten Kondensstreifen. Und dann sucht man woanders die fromme Wellnesszone. Im 2. Timotheusbrief setzt Paulus dagegen Leidensbereitschaft als geistlichen Grundzug für Dienst und Nachfolge voraus. Wohlgemerkt, es geht nicht um Leiden zur Selbsterlösung oder um Leiden, weil Schmerz so schön wäre. Es geht um Leiden für Christus und das Evangelium in einer gefallenen, gottfeindlichen und vergänglichen Welt. Das kann Lebensführungen, Nöte und Schwierigkeiten aller Art mit einschliessen. Denn obgleich wir immer um Erleichterung beten dürfen, können die Leiden auch etwas sein, worin sich Gott in besondere Weise verherrlicht und uns zu Seiner Ehre verändert. Ein altes Lied drückt es besonders treffend aus:
«Endlich bricht der heisse Tiegel,
und der Glaub empfängt sein Siegel
als im Feu’r bewährtes Gold,
da der Herr durch tiefe Leiden
uns hier zu den hohen Freuden
jener Welt bereiten wollt.
Leiden macht das Wort verständlich,
Leiden macht in allem gründlich;
Leiden, wer ist deiner wert?
Hier heisst man dich eine Bürde;
droben bist du eine Würde,
die nicht jedem widerfährt.»
Das steht in einem völligen Kontrast zu unserer heutigen Lebensphilosophie und dem Wohlstandsevangelium, welches wir uns in gewisser Weise oft selbst zusammenzimmern. Die Bibel ruft zwar nicht zur Askese auf, aber wohl zu einem dankbaren und genügsamen Lebensstil. Paulus konnte sagen: «Sowohl erniedrigt zu sein, weiss ich, als auch Überfluss zu haben, weiss ich; in jedes und in alles bin ich eingeweiht, sowohl satt zu sein als auch zu hungern, sowohl Überfluss zu haben als auch Mangel zu leiden» (Phil 4,12).
Ehrlicherweise müssen wir eingestehen, dass es uns in der Regel leicht fällt, Überfluss zu haben, aber Mangel zu leiden kennen wir so nicht mehr. Alles Gute, das uns der Herr gibt, dürfen wir dankbar aus Seiner Hand nehmen. Ob das ein gutes Essen ist, schöne Ferien, ein Eigenheim oder ein Auto. Aber die Frage lautet, was uns das Wichtigste ist und woran unser Herz gebunden wird. Ob wir auch dem Ego-Konsumdenken verfallen oder uns auch genügen lassen können, ohne alles haben zu müssen, was wir haben könnten. Dazu gehört auch die Überlegung, wie wir die Missionsarbeit und den Lauf des Evangeliums unterstützen können.
Das ganze Konsumsystem, das uns umgibt, ist ja darauf ausgerichtet, ständig neue Wünsche zu wecken. Ein genügsamer Lebensstil ehrt schon heute den Herrn und ist zugleich eine Hilfe, wenn wir einmal auf manches verzichten müssen, was wir heute besitzen.
Werner Stoy legt ausserdem dar, dass die verfolgte Gemeinde immer auch Wert auf die Ausbildung und Zurüstung neuer Verkündiger gelegt hat, obwohl das in der Verfolgung ja sehr schwierig ist. Natürlich trifft Verfolgung immer in erster Linie die Brüder, die geistliche Verantwortung tragen und das Wort auch verkündigen. Das ist ein Grund, warum die Zurüstung von Mitarbeitern wichtig ist. Wenn die erste Reihe einkassiert wird, stehen die zweite und dritte bereit.
Mut für Morgen: Leiden um Jesu willen sind nicht sinnlos. Wir wollen nicht das Leid an und für sich verherrlichen. Druck, Bedrängnis, Trübsal tuen immer weh. Deshalb sagte der Herr Seinen Jüngern deutlich, dass sie in der Welt die Enge spüren werden. Aber Christus und Sein Evangelium ist es wert. Das Leiden ist nicht das Letzte, denn am Ende wartet eine unfassbare Herrlichkeit. Mutmachend ist auch, dass das Wort Gottes gerade unter Druck seine Kraft entfaltet. Der Herr gebraucht oft das, was gegen Ihn gerichtet ist, um sich in besonderer Weise zu verherrlichen. So hat sich die Zahl der Christen in China während der harten Verfolgung vervielfacht.
Mit diesem Thema ist für uns eine ungeheure Herausforderung verbunden. Wir müssen den Entwicklungen in Europa klar ins Auge blicken und können nicht länger in einer geistlichen Traumwelt leben. Das sollte uns anspornen, heute das zu tun, was wir einmal nicht mehr tun können. Diesbezüglich hat sich mir schon als Kind ein bekanntes Missionslied besonders eingeprägt, wenn am Pfingstmissionsfest der Liebenzeller Mission abends in der grossen, weissen Zelthalle Missionsberichte mit Lichtbildern oder Filmen gezeigt wurden. Das war noch vor Einführung der Sommerzeit und man benötigte die Dämmerung und Dunkelheit für diese Vorträge, damit es nicht zu hell war. Da sangen wir dann oft am Anfang oder Ende des Anlasses:
«Auf, denn die Nacht wird kommen, auf mit dem jungen Tag!
Wirket am frühen Morgen, eh’s zu spät sein mag!
Wirket im Licht der Sonnen, fanget beizeiten an!
Auf, denn die Nacht wird kommen, da man nicht mehr kann.
Auf, denn die Nacht wird kommen, auf, wenn es Mittag ist!
Weihet die besten Kräfte dem Herrn Jesus Christ!
Wirket mit Ernst, ihr Frommen, gebt alles andre dran!
Auf, denn die Nacht wird kommen, da man nicht mehr kann.
Auf, denn die Nacht wird kommen, auf, wenn die Sonne weicht!
Auf, wenn der Abend mahnet, wenn der Tag entfleucht!
Auf, bis zum letzten Zuge, wendet nur Fleiss daran!
Auf, denn die Nacht wird kommen, da man nicht mehr kann.»