Müssen wir die Prophetie wirklich wörtlich verstehen? (Teil 4)

Die wörtliche Auslegung der biblischen Prophetie und die damit verbundene Lehre von der Entrückung vor der Trübsal ist oft starker Kritik ausgesetzt. Eine Darlegung und Stellungnahme.

In seinem Buch über Schriftauslegung stellt Elliott Johnson, Professor am Dallas Seminary, fest, dass «ein Grossteil der Verwirrung über die wörtliche Auslegung verschwindet, wenn wir begreifen, dass sie auf zweierlei Weise gebraucht wird: 1) der klare, offensichtliche Sinn eines Wortes oder Ausdrucks im Gegensatz zu einer bildlichen Verwendung und 2) ein System, das den Text als Grundlage für die wahre Auslegung ansieht». Im Grossen und Ganzen benutzen Prätribulationisten den Begriff wörtlich für ihr Auslegungssystem (der konsequente Einsatz des grammatisch-historischen Systems), und innerhalb dieses Systems bezieht sich wörtlich im Bereich der Semantik darauf, ob ein Wort oder ein Ausdruck in seinem Kontext bildlich oder wörtlich verwendet wird. Im Hinblick auf die Semantik fragen sich Literalausleger somit, ob ein Wort oder ein Ausdruck von den biblischen Verfassern mit einer wörtlichen oder bildlichen Bedeutung versehen wurde.

Einige von denen, die die allegorische Herangehensweise an die biblische Prophetie wählen, greifen Prätribulationisten mit einem hermeneutischen Hütchenspiel an, um die wörtliche Auslegung falsch darzustellen und zu verzerren. In seinem Buch The Apocalypse Code (Der Code der Apokalypse) liefert Hank Hanegraaff ein Beispiel für dieses Hütchenspiel. Einerseits argumentiert er, dass Literalausleger die Schrift nicht immer wörtlich auslegen, da sie manche Worte und Ausdrücke als Redewendungen verstehen. Andererseits sagt er aber, dieselben Ausleger wüssten nicht, wie man Redewendungen und Symbole richtig versteht. Hanegraaff bewegt sich hin und her zwischen den zwei Konnotationen des Begriffs wörtlich, um zu zeigen, dass Prätribulationisten wie Tim LaHaye irrational und verwirrt sind in ihrem Verständnis der biblischen Prophetie. Hanegraaff spielt ein Hütchenspiel mit den Prätribulationisten, während er sich zwischen den beiden Nuancen von wörtlich hin- und herbewegt. Er wirft Prätribulationisten häufig vor, «Literalismus» zu praktizieren, oder dass sie Redewendungen als «steife Literalisten» betrachten. In seinem weithin angesehenen Buch über Schriftauslegung sagt Professor Bernard Ramm:

«Das System der wörtlichen Schriftauslegung übersieht nicht etwa Redewendungen, Symbole, Typen und Allegorien, die tatsächlich in der Heiligen Schrift zu finden sind. Sie klammert sich nicht blind an den Buchstaben oder an einen steifen Literalismus, wie ihr oft vorgeworfen wird.»

Warum stellen Nicht-Prätribulationisten wie Hanegraaff die wörtliche Auslegung falsch dar? Würde die wörtliche Auslegung der Prophetie so stehen gelassen werden, hätte er keine Grundlage, unserer Sicht von der Endzeit zu widersprechen. Offensichtlich glaubt Hanegraaff nicht, gute Gründe gegen unsere Sicht von der biblischen Prophetie zu haben, und muss sie daher falsch darstellen oder verzerren.

In ehrlichen Momenten räumen Gegner der wörtlichen Auslegung ein, dass unser Ansatz, konsequent befolgt, zur dispensationalistischen Sicht führt. So erklärte Floyd Hamilton beispielsweise:

«Wir müssen offen eingestehen, dass eine wörtliche Auslegung der alttestamentlichen Prophezeiungen uns genau jenes Bild von der irdischen Herrschaft des Messias liefert, das die Prämillennialisten zeichnen. Das war die Art des messianischen Reiches, die die Juden zur Zeit Christi erwarteten, wobei sie sich auf eine wörtliche Auslegung der alttestamentlichen Verheissungen vom Reich gründeten.»

In ähnlicher Weise gibt der alttestamentliche Gelehrte Oswald Allis zu: «Bei einer wörtlichen Auslegung kann man die alttestamentlichen Prophezeiungen nicht als erfüllt ansehen oder davon ausgehen, dass sie im gegenwärtigen Zeitalter erfüllt werden.»

Eine Möglichkeit, die wörtliche Auslegung der Prophetie zu rechtfertigen, ist die Erfüllung vergangener Prophezeiungen. Der Prätribulationist Paul Tan sagt: «Beim ersten Kommen Christi wurden über 300 Prophezeiungen vollständig erfüllt.» Tan kommt zu dem Schluss: «Jede erfüllte Prophezeiung wurde wörtlich erfüllt. Sowohl das Neue Testament als auch die Geschichtsschreibung machen deutlich, dass die biblische Prophetie immer wörtlich erfüllt wurde.»

Auch Ryrie behauptet, die wörtliche Erfüllung vergangener Prophezeiungen würde bestätigen, dass zukünftige Prophezeiungen ebenso wörtlich ausgelegt werden sollten. Er sagt: «Die alttestamentlichen Prophezeiungen über das erste Kommen Christi – seine Geburt, sein Aufwachsen, sein Dienst, sein Tod und seine Auferstehung – wurden ausnahmslos wortwörtlich erfüllt. Das ist ein starkes Argument für einen wörtlichen Ansatz.»

Seit dem ersten Buch Mose hat Gott gezeigt, dass die Prophetie wörtlich erfüllt wird, auch wenn Redewendungen und Symbole verwendet werden. In 1. Mose kommt eine Reihe von Träumen und Visionen vor, in denen Gott einigen Personen aus Seinem Volk die Zukunft offenbart. Ein klassisches Beispiel findet sich bei Joseph, als er davon träumte, über seine Familie gestellt zu werden (1.Mo 37,5-11). In beiden Träumen gebrauchte Gott Symbole, die deutlich machten, was die Zukunft bereithielt. In einem dieser Träume werden Joseph und seine Brüder als Garben dargestellt; in dem anderen Traum repräsentiert die Sonne Jakob, der Mond steht für Rahel und die Sterne sind seine Brüder. Obwohl Symbole verwendet werden, wurden diese Träume im Leben Josephs und seiner Familie wörtlich erfüllt, als er später über sie herrschte und der stellvertretende Machthaber Ägyptens wurde.

In Offenbarung 12 finden wir einige der Symbole aus Josephs prophetischen Träumen wieder. Die Sonne bezieht sich auf Jakob, der Mond steht für Rahel und die Sterne sind die zwölf Stämme Israels. Obwohl hier Symbole benutzt werden, verlangt der biblische Präzedenzfall, dass die Prophezeiung wörtlich erfüllt werden muss und auch wörtlich erfüllt wird.

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