Die «hohe Mauer» bedeutet Absonderung (s. V 27). Die «zwölf Tore» stehen für Kommunikation (s. V 24). Die «zwölf Grundlagen» stehen für Lehre der Apostel (s. Eph 2,20).
Mauern. Eine um eine Stadt gezogene Mauer sorgt dafür, dass niemand in die Stadt eingehen kann, der nicht hineingehört. Darum wird bereits vom irdischen Jerusalem gesagt: «Jerusalem, die du aufgebaut bist als eine fest in sich geschlossene Stadt» (Ps 122,3). In die Gemeinde darf sich niemand einschleichen oder hineinstehlen (Gal 2,4; Jud 4; vgl. Joh 10,1), der nicht zu ihr gehört. Sie soll eine Gemeinschaft der Blutserkauften sein, der Heiligen und Geliebten Gottes. So lehrt uns die Mauer die grosse Lektion, dass die Gemeinde abgesondert ist von allem, was dem Herrn und Seinem Wesen widerspricht. Wollen wir als Gemeinde Wesen und Willen des Herrn widerspiegeln, dann müssen wir in Wort, Wandel und Lehre heilig, eben abgesondert, sein (1.Petr 1,16), dann können wir nicht am gleichen Joch ziehen mit den Ungläubigen, können wir uns nicht mit einem kirchlichen System zusammentun, das immer schamloser die Züge der grossen Hure annimmt (2.Kor 6,14–16), müssen wir uns reinigen von «Gefässen der Unehre» (2.Tim 2,22), das heisst von Ungläubigen und Irrlehrern (2.Tim 2,17–18), und nötigerweise Busse tun über geistlichen Ehebruch (Jak 4,4).
Tore. Wozu braucht die Mauer Tore? Damit man aus- und eingehen kann. Und daher lesen wir wiederum im gleichen Psalm vom irdischen Jerusalem: «Unsere Füsse werden in deinen Toren stehen, Jerusalem» (122,2). Es sollen alle, die im Blut des Lammes gewaschen worden sind (Offb 1,5; 22,14), aufgenommen werden (Röm 15,7), und es sollen die Erlösten Umgang mit den Menschen der Welt haben, zu ihnen gehen, sie aufsuchen, um sie für den Sohn Gottes zu gewinnen und sie durch «die Tür» (Joh 10,9) in die Gemeinschaft der Heiligen einführen. Die Mauer hat je drei Tore in alle vier Himmelsrichtungen. Das zeigt uns, dass die Gemeinde den Auftrag hat, «alle Kreatur» (Mk 16,15), «alle Nationen» (Mt 28,19; Röm 1,5), mit dem Evangelium zu erreichen (Apg 1,8). Wir sollen auch als örtliche Gemeinde möglichst nach allen Seiten die Menschen aller Altersgruppen und sozialen Schichten aufsuchen, um sie für das wahre Leben zu gewinnen. Eine rechte Stadt muss beides haben: hohe Mauern und funktionierende Tore. Manch eine Gemeinde hat heute so viele offene Tore, dass keine Mauer mehr geblieben ist. Alles und jedes zieht ungehindert ein und durchsetzt die Gemeinschaft mit Aberglauben, Unreinheit und Irrlehre. Von der Heiligkeit Gottes wird nichts mehr gesehen. Andere Gemeinden wiederum haben nur noch Mauern und keine Tore mehr. Sie sind dann nicht für den Herrn abgesondert – denn wären sie es, liessen sie sich von Ihm in die Welt senden (Joh 20,21; Apg 26,17) –‚ sondern nur in jeder Beziehung den Menschen entfremdet. Wir sollen als Fremdlinge durch diese Welt gehen (1.Petr 2,11), da wir nach der himmlischen Stadt unterwegs sind (Hebr 11,10), aber wir dürfen die Welt nicht räumen (1.Kor 5,9.10). Das wäre Lieblosigkeit. Wie soll aber, wenn wir lieblos sind, an der Gemeinde die Liebe Gottes gesehen werden?
Grundlagen. «Und die Mauer der Stadt hat Grundlagen.» Wir lesen in Epheser 2,22, dass die Gemeinde aufgebaut ist auf der Grundlage der Apostel und Propheten, das heisst, auf allem, was diese gelehrt und geschrieben haben. Das nennt Apostelgeschichte 2,42 zusammenfassend «die Lehre der Apostel». Zu dieser zählt selbstverständlich nicht nur das Neue Testament, sondern auch das Alte. Das zeigt sich daran, dass die neutestamentlichen Autoren immer wieder aus dem Alten Testament zitierten, um die neutestamentliche Lehre zu untermauern. So können wir sagen, dass die Gemeinde als Fundament das Wort Gottes selbst haben muss. Ein anderes Fundament taugt nicht. Den Herausforderungen der Zeit vermag eine Gemeinde, die teilweise auf Gottes Wort und teilweise auf menschliche Lehren baut wie Psychologie, Management, Verkaufsstrategie, etc. nicht standzuhalten. Das Fundament wird absacken, und das Haus stürzt ein. Hat das der Herr denn nicht ausdrücklich gesagt (Mt 7,24–27)? Daher muss eine Gemeinde, die etwas von Gottes Herrlichkeit widerspiegeln will, sich ausschliesslich und radikal am Wort Gottes orientieren und sich allein auf dasselbe stützen (2.Tim 3,15–17; Jos 1,8; Ps 1).
Die Gemeinde hat endlich ihr Vollmass erreicht. Die Höhe, Länge und Breite der Stadt sind gleich (Offb 21,16), das heisst, sie hat die Form eines Würfels, wie das Allerheiligste in Salomos Tempel (1.Kön 6,20). Dass die Länge, Breite und Höhe gleich sind, will wohl besagen, dass das Volk Gottes in Jeder Beziehung sein Vollmass erreicht hat. Sie kann nun «erfassen, welches die Breite und Länge und Tiefe und Höhe» des göttlichen Heils ist und wird damit endlich «zu der ganzen Fülle Gottes» gekommen sein (Eph 3,18.19).
«Die Länge und die Breite und die Höhe derselben sind gleich.» Die Stadt ist von göttlichem Ebenmass; alles ist vollkommen ausgewogen, alles ist an seinem Platz; alles ruht in perfektem Gleichgewicht. Wie anders ist alles auf dieser Erde. Ein jeder von uns ist einseitig; jede örtliche Versammlung ebenso. Im himmlischen Jerusalem wird aber alles an seinem Platz sein und jedes das ihm zukommende Gewicht haben. Wir werden einst zum Mass des vollen Wuchses der Fülle des Christus kommen (Eph 4,13).
Die Zwölfzahl ist allem zugrundegelegt. Das bedeutet, dass das Volk der Erlösten dann von Gott vollkommen geordnet ist. Wie im alten zwölfstämmigen Israel ist ein jeder in der Geburtsliste verzeichnet, mit Namen genannt und an seinen Ort gestellt (vgl. 4.Mo 1–4). Das Ergebnis ist vollendete Harmonie, ein gegenseitiges ungetrübtes Geben und Nehmen (Eph 4,16); denn jeder wird genau da sein, wo ihn Gott in Seiner Weisheit hingestellt hat. In unserem jetzigen Zustand stören Eigennutz, Neid und Dünkel im Leib Christi diese Harmonie immer wieder (s. 1.Kor 12,12–21), doch die verherrlichte Gemeinde wird endlich so sein, wie Gott es verordnet hat.
Die Gemeinde hat nur noch göttliche Natur. Die Mauer ist aus «Jaspis» gebaut (Offb 21,18). Jaspis ist gemäss Kapitel 4,3 und 21,11 ein Hinweis auf die Herrlichkeit Gottes. Diese wirkt also wie eine Schutz- und Trennmauer. Die Herrlichkeit Gottes verbietet und verhindert, dass etwas Unreines in die Stadt eingeht. Offenbarte sich Gottes Herrlichkeit auch etwas mehr unter uns, könnte sich nicht so viel Fremdes in die Gemeinden einschleichen. Lebten wir für Ihn in Heiligkeit und Liebe, müssten wir nicht alle Tore ängstlich verschliessen wie damals die Jünger aus Angst vor den Juden (Joh 20,19). Wir könnten sie dann allezeit offen lassen wie im himmlischen Jerusalem, wo nie Nacht, sondern immer Licht ist (Offb 21,25).
Eine Begebenheit in der Apostelgeschichte veranschaulicht das sehr schön. Die Gemeinde war in den ersten Tagen so sehr von göttlicher Liebe und göttlicher Heiligkeit regiert, dass nichts Unreines in der Gemeinde bleiben oder in die Gemeinde eingehen konnte. Wir lesen in Apostelgeschichte 4,34.35: «Denn es war auch keiner bedürftig unter ihnen; denn so viele Besitzer von Äckern oder Häusern waren, verkauften sie und brachten den Preis des Verkauften und legten ihn nieder zu den Füssen der Apostel; es wurde aber einem jeden ausgeteilt, so wie einer irgend Bedürfnis hatte.» Das war ein kraftvolles Zeugnis von der Liebe der Jünger untereinander.
Darauf folgt unmittelbar der Bericht von der Lüge Ananias‘ und Sapphiras und vom anschliessenden göttlichen Gericht (Apg 5,1–11). Das war eine machtvolle Offenbarung jener Heiligkeit, die gemäss Psalm 93,5 dem Haus Gottes gebührt. Dieser Gemeinschaft wagte niemand sich anzuschliessen (Apg 5,13), was aber nicht heisst, dass deswegen keine Menschen gerettet wurden; im Gegenteil: «Um so mehr Gläubige wurden dem Herrn hinzugetan» (Apg 5,14).
«Die Stadt war reines Gold.» Wir lesen im siebten Sendschreiben, dass der Herr der Gemeinde in Laodizäa rät, Gold und weisse Kleider bei ihm zu kaufen (Offb 3,18). Stehen die weissen Kleider für göttliche Gerechtigkeit, dann muss Gold auch für etwas Göttliches stehen. Gold ist als Element, das man nicht herstellen kann, wohl ein Hinweis auf die göttliche Natur. Im himmlischen Jerusalem wird unsere adamitische Natur der freien Entfaltung der göttlichen Natur, die uns in der Wiedergeburt gegeben worden ist, nicht mehr im Wege stehen (2.Petr 1,4). Wir werden unseren Herrn sehen, wie Er ist, und damit werden wir Ihm gleich sein (1.Joh 3,2). Das aber heisst: Keine Torheit, keine Sünde, keine Trägheit, keine Unreinheit, keine mangelnde Erkenntnis – alles Dinge, die uns heute Tag für Tag zusetzen – wird dann unsere glückselige Gemeinschaft mit Ihm und untereinander trüben. Alles ist reines Gold, ohne Makel, ohne Schlacken, klar wie Glas (V 21), wie die göttliche Natur; diese und diese allein regiert und bestimmt die Gemeinschaft der Erlösten untereinander.
«Die Grundlagen der Mauer der Stadt waren geschmückt mit jedem Edelstein: die erste Grundlage, Jaspis …» Als erstes wird der Jaspis genannt. Was lernen wir daraus? Wie wir gesehen haben, steht der Jaspis für Gottes Wesen und Herrlichkeit. Gott hat sich vorgesetzt, Sünder zu erlösen und diese in einer vollkommenen Gemeinschaft miteinander zu verbinden. Erster und oberster Grund Seines Handelns ist die Offenbarung Seiner Herrlichkeit. Gott hat alles «seines Willens wegen» (Offb 4,11) erschaffen, sei es das Werk der Schöpfung, sei es das Werk der Erlösung. Alles ist zum Lob Seiner Herrlichkeit: «Preise den Herrn, alle seine Werke an allen Orten seiner Herrschaft» (Ps 103,22).