In den ersten beiden Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts ist es der Europäischen Union nicht allzu gut ergangen. Offiziell wurde die Europäische Union 1993 als Staatenbund gegründet mit einem gemeinsamen Parlament, einer einheitlichen Währung, freiem Handel und offenen Grenzen. Die sechs Gründungsstaaten der ursprünglichen Europäischen Gemeinschaft blähten sich rasch zu 28 Mitgliedsländern auf, und der Euro wurde zu einer wichtigen Weltwährung. Aber die Integration verlief nicht so reibungslos, wie die Architekten zu Anfang gehofft hatten.
Die globale Wirtschaftskrise Ende 2007 liess die strukturellen Fehler in der Europäischen Union sichtbar werden. Auf dem Papier war Europa eine Union von 28 gleichberechtigten Staaten, aber in Wirklichkeit war die EU wirtschaftlich unterteilt in reiche und arme Staaten. Nach mehreren Jahren finanzieller Schwierigkeiten kehrten Deutschland und die nördlichen EU-Länder zurück in eine Phase des stabilen wirtschaftlichen Wachstums und Aufschwungs. Unglücklicherweise blieben viele Länder im Süden der Europäischen Union weiterhin in wirtschaftlicher Rezession und Stagnation stecken.
Die ökonomischen Risse innerhalb der Europäischen Union brachten ein neues Vokabular hervor. Der «Grexit», oder der Austritt Griechenlands aus der EU, wurde zu einem Schreckgespenst, der durch die Flure der Macht der Europäischen Union geisterte. Man fürchtete, dies könnte zu einem Dominoeffekt in der südlichen Hälfte der Eurozone führen und andere ums Überleben kämpfende EU-Länder wie Italien, Spanien und Portugal mit sich reissen.
Und dann, die Bedrohung eines Grexit hatte gerade abgenommen, kam es zum Brexit – dem britischen Rückzug aus der Europäischen Union. Die Hauptmotivation hinter dem Brexit war die Sorge, dass eine weiterhin unbegrenzte Einwanderung das ohnehin schon strapazierte Sozialsystem Grossbritanniens überfordern würde. Stratfor, ein geopolitischer Informations- und Beratungsdienst, analysierte Grossbritanniens Perspektive in der Europäischen Union, was letztlich zu ihrem Vorschlag führte, sich zurückzuziehen. «Aus Londoner Sicht sollte die Europäische Union auf freiem Handel und politischen Vereinbarungen basieren, nicht zwangsläufig auf der uneingeschränkten Bewegungsfreiheit der Bürger oder auf der Verpflichtung, Souveränität an nicht gewählte Beamte in Brüssel abzutreten.» Als Grossbritannien am 23. Juni 2016 dafür stimmte, die Europäische Union zu verlassen, war der Nachhall international zu spüren.
Die Europäische Union hat damit zu kämpfen, ihre Mitgliedsstaaten politisch vereint und wirtschaftlich gesund zu halten. Doch selbst wenn einige Staaten mit einem Austritt drohen, so klopfen andere schon an der Tür und wollen aufgenommen werden. Ganz vorne steht die Türkei, ein Land mit 77 Millionen muslimischen Bürgern.
Die Türkei versucht schon seit fast drei Jahrzehnten Mitglied der Europäischen Union zu werden, aber ihre Aufnahme hat sich seither verzögert, weil es immer wieder Bedenken hinsichtlich der Menschenrechte gab. «Ernsthafte Verhandlungen begannen 2005, als klar gemacht wurde, dass die Türkei nicht aufgenommen würde, solange sie keine deutlichen Fortschritte bei der Demokratisierung macht und ihre Menschenrechtslage verbessert.» Europas Bedenken spiegelten sich in den bisher mangelnden Fortschritten wider. Die Türkei und die EU haben in nur fünfzehn von 35 richtungsweisenden Bereichen Gespräche aufgenommen, die zu einem Beitritt erforderlich sind.
Der Beitritt der Türkei zur Europäischen Union wirft schwierige Fragen auf, die viele in Europa nicht ansprechen wollten. Könnte sich ein mehrheitlich islamisches Land auf die kulturellen Traditionen des Westens einlassen? Würde der Wegfall der Grenzkontrollen einen grösseren westlichen Einfluss in die Türkei bringen oder einen grösseren islamischen Einfluss in den Westen? Die Fragen sind ebenso unbequem, wie die Antworten auf sie schwer zu finden.
Die Europäische Union war in vielerlei Hinsicht als das Gegenstück zu den Vereinigten Staaten von Amerika gedacht – ein föderalistisches System, das die einzelnen Staaten aneinander binden sollte. Die Vereinigten Staaten haben eine gemeinsame Währung. Die Bürger können frei zwischen den Staaten hin und her reisen. Die Bürger eines Staates können in einem anderen arbeiten oder dort hinziehen, ohne die Genehmigung der Regierung einholen zu müssen. Amerikaner nehmen solche Privilegien für selbstverständlich, aber vor der Bildung der Europäischen Union sah das Leben der Europäer noch ganz anders aus. Bei der Einreise in ein Nachbarland mussten Grenz- und Zollkontrollen passiert und das eigene Geld in eine andere Währung umgetauscht werden. Eine teilweise nach US-amerikanischem Vorbild gestaltete Europäische Union machte Sinn, zumindest auf dem Papier.
Warum also funktioniert die Europäische Union in der Praxis nicht so gut? Drei grundlegende Probleme halten die EU davon ab, ein vereintes Europa zu werden.
Das grösste Problem bleiben die tief verwurzelten kulturellen und sprachlichen Hindernisse, die die verschiedenen Länder voneinander trennen. Die Vereinigten Staaten entstanden aus dreizehn relativ jungen Kolonien, die sprachliche, historische und kulturelle Verbindungen zu England hatten. Im Gegensatz dazu existierten die verschiedenen europäischen Staaten schon seit Jahrhunderten als unabhängige Nationen mit einer je eigenen Sprache, Geschichte und Kultur. Der heutige Warenverkehr, Reisemöglichkeiten und Kommunikationsmittel – vor allem Radio, Fernsehen und das Internet – haben diese Barrieren ein Stück weit abgebaut.
Aber die kulturelle DNA eines jeden Landes ist in seinen Bürgern weiterhin tief eingeprägt.