Der Sabbat, die Gemeinde und der Tag des Herrn (Teil 3)

Müssen Christen den Sabbat halten? Welche Rolle spielt dieser besondere Tag in Gottes Heilsplan? Und warum versammelt sich die Gemeinde überhaupt am Sonntag und nicht am Samstag, dem ursprünglichen Sabbattag? Eine systematische Erklärung auf Grundlage der Heiligen Schrift.

Wie der Sabbat eingesetzt wurde, um die alte Schöpfung zu feiern (2.Mo 20,10-11; 31,12-17; Hebr 4,4), so feiert der Tag des Herrn die neue Schöpfung. So wie der Sabbat nur für das Volk Israel als das irdische Volk Gottes galt, so ist der Tag des Herrn begrenzt auf die Gemeinde als das himmlische Volk Gottes.

Neben der Tatsache, dass den Kindern Gottes an keiner Stelle aufgetragen wurde, den Sabbat zu heiligen, gibt es viele Hinweise, die für den ersten Tag der Woche sprechen.

1. Ein neuer Tag ist prophezeit und unter der Gnade bestimmt worden.
Nach Psalm 118,22-24 und Apostelgeschichte 4,10-11 war Christus in Seiner Kreuzigung der Stein, den Israel als die «Bauleute» verworfen haben; doch durch Seine Auferstehung ist Er zum Eckstein geworden. Dieses wunderbare Werk ist von Gott, und der Tag, an dem dies vollbracht wurde, ist ein Tag der Freude. Christus grüsst die Frauen am Auferstehungsmorgen mit: «Seid gegrüsst!» (Mt 28,9, was wörtlich eigentlich: «welche Freude!» heissen müsste), und da dies der Tag ist, «den der Herr gemacht hat» (Ps 118,24), wird er zu Recht der «Tag des Herrn» genannt.

2. Bei verschiedenen Gelegenheiten wird auf die Beachtung des ersten Tages hingewiesen.
a) An diesem Tag erstand Christus von den Toten (Mt 28,1).
b) An diesem Tag traf Er zum ersten Mal die Jünger in der neuen Gemeinschaft (Joh 20,19).
c) An diesem Tag gab Er ihnen Anweisungen (Lk 24,13-45).
d) An diesem Tag fuhr Er in den Himmel auf als die «Erstlingsfrucht» oder die «geschwungene Garbe» (vgl. 3.Mo 23,10-12; Joh 20,17; 1.Kor 15,20.23).
e) An diesem Tag hauchte Er die Jünger an (Joh 20,22).
f) An diesem Tag kam der Geist vom Himmel (Apg 2,1-4).
g) An diesem Tag predigte der Apostel Paulus in Troas (Apg 20,6-7).
h) An diesem Tag kamen die Gläubigen zusammen, um das Brot zu brechen (Apg 20,6-7).
i) An diesem Tag sollte jeder für sich «zurücklegen», wie Gott ihm gegeben hatte (vgl. 1.Kor 16,2).
j) An dem Tag erschien Christus dem Johannes auf Patmos (Offb 1,10).

3. Der achte Tag war der Tag der Beschneidung. Das Ritual der Beschneidung versinnbildlicht die Trennung des Gläubigen vom Fleisch und der alten Ordnung durch den Tod Christi (Kol 2,11), und der achte Tag, da er der erste Tag einer neuen ganzen Woche ist, steht symbolisch für einen Neuanfang.

4. Der neue Tag ist aus Gnade gegeben. Am Ende einer Arbeitswoche wurde dem Volk, das in Beziehung zu Gott stand durch die Werke des Gesetzes, ein Tag der Ruhe zugesagt, während dem Volk unter Gnade, dessen Werke in Christus vollendet sind, ein Tag der Anbetung festgesetzt ist, der, da er der erste Tag der Woche ist, den Arbeitstagen vorangeht. In der Segnung des ersten Tages erlebt der Gläubige die folgenden sechs Tage. Der Ruhetag gehört dem Volk, das durch zu vollbringende Werke in Beziehung zu Gott stand; der Tag der unablässigen Anbetung und des Gottesdienstes gehört dem Volk, das durch das vollendete Werk Christi mit Gott verbunden ist. Der siebte Tag war charakterisiert durch das starre Gesetz; der erste Tag ist charakterisiert durch die Freiheit, die die Gnade uns gibt. Der siebte Tag wurde beachtet in der Hoffnung, dass man dadurch Gott annehmbar würde; der erste Tag wird geachtet in der Gewissheit, dass man von Gott angenommen ist. Die Heiligung des siebten Tages wurde vom Fleisch gewirkt, die des ersten Tages durch den in uns wohnenden Geist.

5. Der neue Tag ist von Gott gesegnet. In diesem ganzen Heilszeitalter haben die meisten geisterfüllten, gottesfürchtigen Gläubigen, denen der Wille Gottes ganz klar offenbart worden ist, den Tag des Herrn gehalten und sich nicht verpflichtet gefühlt, den siebten Tag zu heiligen. Es ist vernünftig anzunehmen, dass sie dieser Sünde überführt worden wären, wenn sie sich des Sabbatbrechens schuldig gemacht hätten.

6. Der neue Tag ist nur den Gläubigen gegeben worden. Er gilt nicht für die Ungläubigen. Ganz sicher ist es höchst irreführend, den Ungläubigen Grund zur Annahme zu geben, sie würden eher von Gott angenommen, wenn sie einen bestimmten Tag heiligen würden; denn ausserhalb der Erlösung, die in Christus ist, sind alle Menschen gleich verloren. Aus sozialen oder gesundheitlichen Gründen mag ein Tag der Ruhe für alle Menschen angebracht erscheinen; doch den nicht wiedergeborenen Menschen sollte klar sein, dass die Beachtung eines solchen Tages ihr Verdienst bei Gott nicht erhöht.

Die Beachtung des Tages des Herrn ist nicht der Gemeinde als Ganzes aufgetragen. Die Verantwortung der Heiligung des ersten Tages ist nur dem einzelnen Gläubigen gegeben, und die Art, ihn zu verbringen, wird dem einzelnen in dem, was Christus am Morgen Seiner Auferstehung sagte, nahegelegt: «Welche Freude!» und «Geht und verkündet» (vgl. Mt 28,9.10). Dies fordert auf zu unablässiger Tätigkeit in allen Formen der Anbetung und des Dienstes; eine solche Tätigkeit steht im Gegensatz zu der Ruhe des siebten Tages.

7. An keiner Stelle wird uns geboten, den ersten Tag zu heiligen. Da alles aus Gnade geschehen ist, gibt es kein geschriebenes Gebot zur Einhaltung des Tages des Herrn, auch wird nichts darüber ausgesagt, wie er verbracht werden soll. Durch diese weise Voraussicht wird niemand ermutigt, diesen Tag aus Pflichtgefühl einzuhalten; er soll von Herzen gehalten werden. Die Israeliten standen vor Gott als unreife Kinder, die Vormünder und Verwalter und die Gebote brauchten, die einem Kind gegeben werden (Gal 4,1-11); die Gemeinde steht vor Gott als erwachsene Söhne. Das Leben des Gläubigen unter Gnade ist klar umrissen, doch es ist gefasst in Ermahnungen Gottes mit der Erwartung, dass alles willig erfüllt werden wird (Röm 12,1-2; Eph 4,1-3). Es ist keine Frage, wie ein gut unterwiesener, geisterfüllter Christ (und die Schrift geht von der Voraussetzung aus, dass dies die Eigenschaften eines Christen sind) diesen Tag verbringt, der an Christi Auferstehung und die neue Schöpfung erinnert. Wenn ein Kind Gottes sich Gott nicht ausliefert, wird keine bereitwillige Beachtung eines bestimmten Tages sein fleischliches Herz korrigieren, noch würde Gott diese Einhaltung erfreuen. Der korrekturbedürftige Punkt zwischen Gott und einem fleischlichen Gläubigen ist ein hingegebenes Leben, nicht äusserliche Handlungen.

8. Die Art, wie der Tag des Herrn gehalten wird, kann auf alle Tage ausgedehnt werden. Christus war nicht an einem Tag Seinem Vater mehr ergeben als an einem anderen. Die Sabbatruhe konnte sich nicht auf alle Tage erstrecken, doch während der Christ am ersten Tag der Woche mehr Zeit und Musse zur Anbetung, zur Freude und zum Dienst hat, so sollte diese Haltung, soweit das möglich ist, auch alle anderen Tage der Woche kennzeichnen (Röm 14,5).

Lewis S. Chafer (1871–1952) war Professor für Systematische Theologie sowie Gründer und Präsident des Dallas Theological Seminary. John F. Walvoord (1910–2002) war von 1952 bis 1986 Theologe, Pastor und Präsident des Dallas Theological Seminary. Er war Autor von über 30 Büchern mit Schwerpunkt Eschatologie und Theologie.
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