Unser erster Halt ist buchstäblich am Fuss des Ölbergs. Passen Sie auf, wenn wir die Strasse überqueren und die Treppe hinunter zu dem offenen, darunterliegenden Platz gehen. Nehmen Sie die enge Gasse zur Rechten des kleinen Gebäudes vor Ihnen und gehen Sie zu dem kleinen Eingang am Ende. Gehen Sie durch die Tür und die Handvoll Stufen hinunter in die relativ kleine Kapelle. Jetzt sind Sie in Gethsemane! Schauen Sie sich die Wände und die Decke genau an. Denken Sie sich die Lichter, die Sitze und die anderen modernen Ergänzungen weg. Es fällt nicht schwer zu erkennen, dass wir uns in einer Höhle befinden. Es ist eine natürliche Höhle, wie Hunderte von anderen, die in den Kalksteinhügeln in ganz Israel zu finden sind. Aber was macht Gethsemane in einer Höhle?
Der Name «Gethsemane» ist eigentlich eine Kombination aus zwei hebräischen Worten – gath, das Wort für Kelter, und shemen, das Wort für Olivenöl. Als Jesus mit Seinen Jüngern nach Gethsemane ging, machte Er sich wortwörtlich auf den Weg zur Olivenölkelter. Aber warum stehen wir in einer Höhle?
Oliven werden erst am Ende des Sommers geerntet, direkt vor Beginn der Regenzeit. Damit sich kein Wasser mit dem Öl vermischte, befand sich die Kelter oft in einem geschützten Bereich wie einem Gebäude oder einer Höhle. Hier auf dem Ölberg war diese natürliche Höhle der perfekte Ort für eine Kelter. Und in den übrigen Monaten des Jahres diente die Höhle als ein praktischer Schutz oder Treffpunkt für die Besucher Jerusalems, vor allem zur Zeit von Festen. Höchstwahrscheinlich nutzten Jesus und Seine Jünger die Höhle bei früheren Besuchen als Schutzraum. In der Nacht Seines Verrats ging Jesus «hinaus und begab sich nach seiner Gewohnheit an den Ölberg», und auch Seine Jünger kamen «an den Ort» (Lk 22,39–40). Ohne Judas kam die Gruppe zu dieser Höhle mit ihrer Olivenölkelter. Die Jünger hielten es zweifellos für den Ort, an dem sie sich für die Nacht niederlassen würden, da es zu spät war, um den ganzen Weg nach Bethanien zurückzulegen.
Ich bin mir sicher, wir alle würden hier gerne eine Pause einlegen, aber wir müssen weiterziehen – zum zweiten Halt in Gethsemane.
Die zweite Stelle ist der traditionelle Garten Gethsemane, den die meisten Touristen besuchen. Ausserhalb der Höhle, in der sich die Ölkelter befand, sollte man Olivenbäume erwarten können. (Denn schliesslich stehen wir am Fuss des Ölbergs.) Zur Zeit Jesu war mit einem «Garten» ein Anbaugebiet gemeint – ein funktionierender landwirtschaftlicher Hof, nicht ein Blumengarten. Daher sollten wir in der Nähe der Kelter einen Olivenhain finden. Wie nahe? Lukas berichtet, dass sich Jesus etwa einen Steinwurf von den Jüngern entfernte.
Wie weit ist es von Gethsemane – der Olivenölkelter in der Höhle – zum traditionellen Garten Gethsemane? Hängt davon ab, was Ihr Arm hergibt, ich würde sagen, etwa einen Steinwurf entfernt! Wenn wir nun den Garten betreten, um uns die knorrigen Olivenbäume anzusehen, dann bedenken Sie, dass wir nahe der Stelle sind, an der sich Jesus von den übrigen Jüngern absetzte und nur Petrus, Jakobus und Johannes mitnahm.
Während wir uns die Bäume anschauen, stellen Sie sich vor, wie Jesus zwischen ihnen stand mit den drei Jüngern, die Seinen inneren Kreis bildeten. Welche Anweisungen gab Er ihnen? «Wacht und betet, damit ihr nicht in Versuchung kommt! Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach» (Mt 26,41). Und was war ihre Reaktion? Sie schliefen ein! Drei Mal! Ich kann mir bildlich vorstellen, wie sich Petrus gegen einen ähnlichen Baum wie diese lehnte und leise schnarchte. Seien Sie aber nicht zu hart mit den Jüngern. Es war spät in der Nacht. Es war dunkel. Und sie hatten gerade erst das Mahl am Sederabend des Passahfestes zu sich genommen.
Direkt neben diesem kleinen Olivenhain liegt eine moderne Kirche. Es ist eine meiner Lieblingskirchen im ganzen Heiligen Land. Die Kirche aller Nationen (auch Todesangstbasilika) enthält mehrere bauliche Höhepunkte, die vom Architekten Antonio Barluzzi stammen. Die Fenster sind aus lichtdurchlässigem violettem Alabaster. Sie lassen etwas Licht durch und halten gleichzeitig genug zurück, sodass das Innere der Kirche düster und dunkel wirkt. Und im vorderen Bereich der Kirche wurde der Felsgrund absichtlich freigelegt. Er markiert die Stelle, an die Jesus allein zum Beten ging.
Barluzzis unverwechselbare Kirche ist der dritte Ort auf unserer Tour durch Gethsemane. Das Markus-Evangelium sagt, Jesus «ging ein wenig weiter» von den drei Jüngern weg, bevor Er zum Beten auf die Erde fiel (14,35). Irgendwo in diesem Bereich – möglicherweise genau dort vorne in der Kirche – ist die Stelle, wo Jesus mit dem Schrecken Seiner bevorstehenden Kreuzigung rang. Während Er im Gebet kämpfte, berichtet Lukas, dass Sein Schweiss wie Blutstropfen wurde, ein Zeichen für die tiefen Gefühle, die Jesus durchlebte. «Vater, wenn du diesen Kelch von mir nehmen willst – doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe!» (Lk 22,42).
Mir ist es nicht erlaubt, Sie in die Kirche zu führen, aber ich möchte Ihnen Folgendes vorschlagen: Setzen Sie sich hin und halten Sie inne, um über die Gefühle nachzudenken, die Jesus in dieser Nacht hatte. In der ganzen Ewigkeit bestand eine vollkommene Einheit zwischen Gott dem Vater und Gott dem Sohn. Jetzt aber stand Jesus kurz vor Seiner Kreuzigung. Und als Er am Kreuz hing, rief Er aus: «Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?» (Mt 27,46).
Jesus wusste, dass Er in dem Augenblick, in dem Er die Sünde der Welt auf sich nehmen würde, nicht nur die furchtbaren körperlichen Schmerzen der Kreuzigung zu ertragen hätte. Er sollte auch die Trennung, das Gericht und die Strafe erleben, die Gott der Vater für unsere Sünden vorgesehen hatte. Ist es da ein Wunder, dass Er in dieser Nacht unter Todesqualen betete? Doch am Ende war Jesus bereit, sich allem zu unterwerfen, weil Er Sie so sehr liebt.